Am 7. April wurde neue Ausstellung in der Galerie Bremer in Berlin
eröffnet.
Zur Eröffnung sprach Frau Inka Paul.
Unter anderem hat sie gesagt:
Meine Eltern hatten an ihrer Schlafzimmerwand einen hohen, rahmenlosen
Spiegel. Er faszinierte mich als Kind, weil ich nicht begriff, wie
ein Spiegel funktionierte. Da mein Bild in voller Tiefe in ihm erschien,
war ich überzeugt, dass es hinter ihm noch eine - dreidimensionale
- Welt gab. Ich trat ganz dicht vor ihn hin, berührte ihn mit der
Stirn und bohrte meinen Blick hinein. Doch ich sah nur mich und das
Schlafzimmer hinter mir. Schließlich trat ich zur Seite und versuchte,
mein Auge in die zwei Zentimeter zwischen Spiegel und Wand zu quetschen.
Doch nie sah ich etwas anderes als Dunkelheit in dieser Ritze. Ich
versuchte auch, den Spiegel auszutricksen, indem ich an ihm vorbei
aus dem Fenster sah, als interessiere er mich nicht, um dann blitzartig
meinen Kopf wieder in die Lücke zu drücken. Er fiel auf keine meiner
Finte herein, ich sah weiterhin nur Leere.
Die Frage, was hinter den Spiegeln lebt, stellt Michail Schnittmann
in seiner Serie "Hinter Spiegeln" auch. (Sofort denke ich bei
diesem Titel an "Alice hinter den Spiegeln" den zweiten Teil von Lewis
Carrolls "Alice im Wunderland". Im Original: "Through the looking
glass". In diesem Band schlüpft Alice durch einen Spiegel [ihr gelingt
damit, was mir als Kind nicht gelingen konnte] und kommt in eine Welt,
die von einem Schachspiel beherrscht wird und nach den Regeln des
Schachspiels funktioniert.) Wer aber spiegelt sich in diesen Bildern?
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Inka Paul spricht
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Das Publikum hört interessiert zu
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Es sind Frauen. Zwei Arten von Frauen.
(Cherchez la femme!)
Da sind verschleierte Frauen, was für den "westlichen Blick" nicht
mehr rein religiös verstanden werden kann. Das Kopftuch der muslimischen
Frau hat im Zeichen des "Elften September", des islamistischen Terrors
und des "Kampfes der Kulturen" seine "Unschuld" verloren. Und sehen
wir davon ab, bleibt oft noch das Unbehagen gegenüber einer Kultur,
in der die Frau den Männern untertan ist, sich in ihrer erotischen
Körperlichkeit nicht zeigen darf. Und da sind - ganz anders - nackte
oder zumindest halbnackte Frauen, exponierte Körper, schutzlos und
doch voll selbstbewusster Erotik. Allerdings erweist sich der erste
Eindruck eben auch nur als ein erster: Die verschleierten Frauen gehen
- wenig untertänig und unterdrückt - entschieden und geschäftig auf
ein - nicht sichtbares - Ziel zu, den Blick offensiv auf den Betrachter
gerichtet. Die entblößten Frauen dagegen posieren statuarisch passiv
in ihren schönen Körpern. Schnittmann spricht von ihnen auch nicht
von Frauen, vielmehr von Puppen, von Schaufensterpuppen. Und bei genauerer
Betrachtung sieht man, dass diese perfekten Körper oft unvollständig,
torsohaft sind, mit in den Achselhöhlen abgeschnittenen Armen. (Einmal
taucht so ein Arm geisterhaft aus dem Nichts wieder auf und stützt
sich auf eine Hüfte.) |
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Dies alles erscheint also
im Spiegel. Die verschleierten - oder auch maskierten - Frauen spiegeln
sich in den entblößten, die entblößten in den verschleierten. Mag
sein, dass die Puppe das alter ego der verhüllten Frau ist, mag sein,
dass sie Konkurrentinnen oder gar Rivalinnen sind. Manchmal spiegelt
sich auch ein Gesicht in sich, verdoppelt sich, und schließlich spiegeln
wir uns als Betrachter und Betrachterinnen in den Frauen auf den Bildern,
und da die Gemalten uns mit den Augen zu durchdringen scheinen, machen
sie aus uns Betrachtern gleichzeitig auch Betrachtete. Die Blicke
der Frauen, gleichgültig, ob unverschleiert, maskiert oder verborgen,
fordern zur Auseinandersetzung heraus. Denn was bedeutet Spiegelung
letztlich anderes als den Wunsch, etwas über sich selbst zu erfahren?
Spiegelung ist Reflexion. Mit diesem Fremdwort bezeichnen wir sowohl
das Reflektieren eines Bildes, als auch das Nachdenken über etwas,
- und Reflexion hat immer mit Selbstreflexion zu tun. Es gibt einen
schönen Witz von dem Philosophen Jacques Lacan, der davon spricht,
dass wir im Spiegel eigentlich unser erstes Ich erkennen: Er sagt:
Der Spiegel täte gut daran, einen Moment lang zu reflektieren, bevor
er uns unser Bild zurückwirft.
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Gäste der Ausstellung
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Wie Hamlet scheint der Künstler der Welt
den Spiegel vorhalten zu wollen: Was haben diese Frauen mit uns zu
tun? Die eine spiegelt vielleicht unsere Ängste vor Unterdrückung,
sei es als Hausfrau durch die Religion, sei es als Sexualobjekt durch
den Mann. Die andere spiegelt vielleicht unsere Sehnsüchte nach selbstbewusstem
Auftreten, oder erotischer Schönheit. Ein Spiegel verunsichert uns,
denn er zeigt zwar mich und den anderen, gleichzeitig bin ich aber
auch der andere.
Welche Frau ist freier?" fragt Schnittmann, welche ist sicherer? Diese
Frage darf sich jeder für sich stellen.
Auf der anderen Seite sind da die Tänzerinnen von Chvarch Khatchatrian,
keine gemalten und zur Bewegung hin bearbeiteten, vielmehr Skulpturen,
dreidimensional. Aus einem viel härteren, statischeren Material als
die Bilder: aus kaltem, harten Metall. Die Dargestellten aber sind
alles andere als hart, kalt und statisch, denn sie repräsentieren
Bewegung schlechthin: den Tanz. "Bewegung ist für einen darstellenden
Künstler ein ebenso reizvolles wie verblüffendes Element. Wenn wir
eine Bewegung wahrnehmen, ist sie schon vergangen."
Die Frauen auf den Gemälden, die, wie ich sagte, uns offen und direkt
anschauen, blicken von der Wand auch auf diese Tänzerinnen im Raum;
auch hier gibt es noch einmal eine Spiegelung zwischen drei unterschiedlichen
Frauen, zwischen zwei Kunstformen: Malerei und Plastik, zwischen zwei
Künstlern. |
Die (von den Konventionen der Religion
oder Mode befreite) Tänzerin ist vielleicht die Synthese aus der verschleierten,
im besten Fall im Verborgenen blühenden Frau und der perfekt en Körperschönheit
der der Öffentlichkeit dargebotenen und ausgestellten Schaufensterpuppe.
Auch die Tänzerin ist ganz und gar körperbetont, aber sie ist in ihrer
Körperlichkeit nicht perfekt, sondern virtuos, nämlich in ihrer Kunst.
Schön sind diese Frauen, seien sie (hier) realistisch oder abstrakt
geformt, (schön,) weil sie nicht nur einen Körper repräsentieren,
sondern auch eine Kunst - wobei sich auf diese Weise also ein letztes
Mal, Kunst in der Kunst spiegelt. |
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Performanz zu der Eröffnung der Ausstellung |

Damit ist die Ausstellung eröffnet. |
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