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Ausstellung in der Galerie Bremer. Berlin, 08.04. - 02.05.2008


Am 7. April wurde neue Ausstellung in der Galerie Bremer in Berlin eröffnet.

Zur Eröffnung sprach Frau Inka Paul.

Unter anderem hat sie gesagt:

Meine Eltern hatten an ihrer Schlafzimmerwand einen hohen, rahmenlosen Spiegel. Er faszinierte mich als Kind, weil ich nicht begriff, wie ein Spiegel funktionierte. Da mein Bild in voller Tiefe in ihm erschien, war ich überzeugt, dass es hinter ihm noch eine - dreidimensionale - Welt gab. Ich trat ganz dicht vor ihn hin, berührte ihn mit der Stirn und bohrte meinen Blick hinein. Doch ich sah nur mich und das Schlafzimmer hinter mir. Schließlich trat ich zur Seite und versuchte, mein Auge in die zwei Zentimeter zwischen Spiegel und Wand zu quetschen. Doch nie sah ich etwas anderes als Dunkelheit in dieser Ritze. Ich versuchte auch, den Spiegel auszutricksen, indem ich an ihm vorbei aus dem Fenster sah, als interessiere er mich nicht, um dann blitzartig meinen Kopf wieder in die Lücke zu drücken. Er fiel auf keine meiner Finte herein, ich sah weiterhin nur Leere.

Die Frage, was hinter den Spiegeln lebt, stellt Michail Schnittmann in seiner Serie "Hinter Spiegeln" auch. (Sofort denke ich bei diesem Titel an "Alice hinter den Spiegeln" den zweiten Teil von Lewis Carrolls "Alice im Wunderland". Im Original: "Through the looking glass". In diesem Band schlüpft Alice durch einen Spiegel [ihr gelingt damit, was mir als Kind nicht gelingen konnte] und kommt in eine Welt, die von einem Schachspiel beherrscht wird und nach den Regeln des Schachspiels funktioniert.) Wer aber spiegelt sich in diesen Bildern?

Inka Paul spricht

Das Publikum hört interessiert zu
Es sind Frauen. Zwei Arten von Frauen. (Cherchez la femme!)
Da sind verschleierte Frauen, was für den "westlichen Blick" nicht mehr rein religiös verstanden werden kann. Das Kopftuch der muslimischen Frau hat im Zeichen des "Elften September", des islamistischen Terrors und des "Kampfes der Kulturen" seine "Unschuld" verloren. Und sehen wir davon ab, bleibt oft noch das Unbehagen gegenüber einer Kultur, in der die Frau den Männern untertan ist, sich in ihrer erotischen Körperlichkeit nicht zeigen darf. Und da sind - ganz anders - nackte oder zumindest halbnackte Frauen, exponierte Körper, schutzlos und doch voll selbstbewusster Erotik. Allerdings erweist sich der erste Eindruck eben auch nur als ein erster: Die verschleierten Frauen gehen - wenig untertänig und unterdrückt - entschieden und geschäftig auf ein - nicht sichtbares - Ziel zu, den Blick offensiv auf den Betrachter gerichtet. Die entblößten Frauen dagegen posieren statuarisch passiv in ihren schönen Körpern. Schnittmann spricht von ihnen auch nicht von Frauen, vielmehr von Puppen, von Schaufensterpuppen. Und bei genauerer Betrachtung sieht man, dass diese perfekten Körper oft unvollständig, torsohaft sind, mit in den Achselhöhlen abgeschnittenen Armen. (Einmal taucht so ein Arm geisterhaft aus dem Nichts wieder auf und stützt sich auf eine Hüfte.)

Dies alles erscheint also im Spiegel. Die verschleierten - oder auch maskierten - Frauen spiegeln sich in den entblößten, die entblößten in den verschleierten. Mag sein, dass die Puppe das alter ego der verhüllten Frau ist, mag sein, dass sie Konkurrentinnen oder gar Rivalinnen sind. Manchmal spiegelt sich auch ein Gesicht in sich, verdoppelt sich, und schließlich spiegeln wir uns als Betrachter und Betrachterinnen in den Frauen auf den Bildern, und da die Gemalten uns mit den Augen zu durchdringen scheinen, machen sie aus uns Betrachtern gleichzeitig auch Betrachtete. Die Blicke der Frauen, gleichgültig, ob unverschleiert, maskiert oder verborgen, fordern zur Auseinandersetzung heraus. Denn was bedeutet Spiegelung letztlich anderes als den Wunsch, etwas über sich selbst zu erfahren? Spiegelung ist Reflexion. Mit diesem Fremdwort bezeichnen wir sowohl das Reflektieren eines Bildes, als auch das Nachdenken über etwas, - und Reflexion hat immer mit Selbstreflexion zu tun. Es gibt einen schönen Witz von dem Philosophen Jacques Lacan, der davon spricht, dass wir im Spiegel eigentlich unser erstes Ich erkennen: Er sagt: Der Spiegel täte gut daran, einen Moment lang zu reflektieren, bevor er uns unser Bild zurückwirft.

Gäste der Ausstellung
Wie Hamlet scheint der Künstler der Welt den Spiegel vorhalten zu wollen: Was haben diese Frauen mit uns zu tun? Die eine spiegelt vielleicht unsere Ängste vor Unterdrückung, sei es als Hausfrau durch die Religion, sei es als Sexualobjekt durch den Mann. Die andere spiegelt vielleicht unsere Sehnsüchte nach selbstbewusstem Auftreten, oder erotischer Schönheit. Ein Spiegel verunsichert uns, denn er zeigt zwar mich und den anderen, gleichzeitig bin ich aber auch der andere.
Welche Frau ist freier?" fragt Schnittmann, welche ist sicherer? Diese Frage darf sich jeder für sich stellen.

Auf der anderen Seite sind da die Tänzerinnen von Chvarch Khatchatrian, keine gemalten und zur Bewegung hin bearbeiteten, vielmehr Skulpturen, dreidimensional. Aus einem viel härteren, statischeren Material als die Bilder: aus kaltem, harten Metall. Die Dargestellten aber sind alles andere als hart, kalt und statisch, denn sie repräsentieren Bewegung schlechthin: den Tanz. "Bewegung ist für einen darstellenden Künstler ein ebenso reizvolles wie verblüffendes Element. Wenn wir eine Bewegung wahrnehmen, ist sie schon vergangen."

Die Frauen auf den Gemälden, die, wie ich sagte, uns offen und direkt anschauen, blicken von der Wand auch auf diese Tänzerinnen im Raum; auch hier gibt es noch einmal eine Spiegelung zwischen drei unterschiedlichen Frauen, zwischen zwei Kunstformen: Malerei und Plastik, zwischen zwei Künstlern.
Die (von den Konventionen der Religion oder Mode befreite) Tänzerin ist vielleicht die Synthese aus der verschleierten, im besten Fall im Verborgenen blühenden Frau und der perfekt en Körperschönheit der der Öffentlichkeit dargebotenen und ausgestellten Schaufensterpuppe. Auch die Tänzerin ist ganz und gar körperbetont, aber sie ist in ihrer Körperlichkeit nicht perfekt, sondern virtuos, nämlich in ihrer Kunst. Schön sind diese Frauen, seien sie (hier) realistisch oder abstrakt geformt, (schön,) weil sie nicht nur einen Körper repräsentieren, sondern auch eine Kunst - wobei sich auf diese Weise also ein letztes Mal, Kunst in der Kunst spiegelt.

Performanz zu der Eröffnung der Ausstellung

Damit ist die Ausstellung eröffnet.


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